Ein Teil meiner Familie

Das Thema der Waisen wird im Koran durchgehend und zentral behandelt. Es wird in den mekkanischen Suren des Koran (z.B. Sura 107) als ein wichtiger Bestandteil des Glaubens dargeboten und die schlechte Behandlung der Waisen mit der Leugnung des Tages des Gerichts verknüpft. In den medinensischen Koranpassagen werden u.a. Gebote zur praktischen Umsetzung zu diesem zentralen Thema in einer islamisch geprägten Gesellschaft gegeben (8:41).

Nicht nur im Koran als der letzten Offenbarung Allahs, sondern in sämtlichen göttlichen Lehren findet die Fürsorge den Waisen und Bedürftigen gegenüber seinen Platz (z.B. 2:83-84).

Weiterhin warnt der Koran uns alle davor, den Besitz der Waisen ungerecht aufzuzehren, damit sie somit die Chance bekommen, auch finanziell abgesichert, sich als ein normales Mitglied der Gesellschaft zu entwickeln. Wie Waisen in der Gesellschaft behandelt werden, steht in einem direkten Verhältnis zur Kultur und Zivilisation dieser Gesellschaft. Es stimmt, dass viele – auch Waisen – in der muslimischen Umma bedürftig sind, während andere Muslime über dem finanziellen Mindeststandard, vielleicht sogar im Überfluss leben. Das zeigt u.a., dass das Konzept der Zakat und des Infaq (Spendens) im Islam scheinbar nicht verstanden und praktiziert wird. Aber bei den Waisen geht es nicht nur um ihre finanzielle Versorgung.

Es wird womöglich erstaunen, dass in den acht Empfängergruppen, die der Koran für die Zakat auflistet, die Waisen nicht aufgeführt sind (9:40). Wie kommt es, dass eine Offenbarung, die so viel Wert auf Waisen legt und sich so eindeutig auf ihre Seite schlägt, sie hier nicht ausdrücklich erwähnt? Man könnte natürlich argumentieren, dass die Waisen in der Gruppe der Bedürftigen mit eingeschlossen sind. Dagegen spricht aber die Tatsache, dass dies in anderen Versen, bei der es z.B. um gute Behandlung geht, anders gehandhabt wird (4:8). Das Ganze ist womöglich hintergründiger.

Ein Muslim darf seinen Kindern, Eltern, Großeltern und Enkeln nichts von seiner Zakat geben, da er verpflichtet ist sie zu versorgen. Mit seinem Einkommen muss er sich finanziell um sie kümmern, denn sie sind eine Familie und er steht für sie ein.

Ähnlich verhält es sich mit den Waisen: Sie sind der ganzen islamischen Gemeinschaft anvertraut, diese ist für sie verantwortlich. Wenn ein Muslim sich also um eine Waise kümmert, dann ist es  so, als ob er ein Mitglied seiner eigenen Familie versorgt. Das ist die naheliegende Erklärung.

Es ist so, als würde Allah sagen wollen: Ihr müsst euch um die Waisen kümmern und sie wie eure eigenen Kinder behandeln. Genauso verhielten sich ja auch der Prophet (s) und die Gefährten (r.a.). Vielleicht wird damit gleichzeitig angedeutet, dass die Bedürfnisse der Waisen nicht allein mit der Abgabe der Zakat befriedigt werden können und die Gläubigen sich darüber hinaus um ihre nichtmateriellen Bedürfnisse kümmern sollen.

Ein Kriterium für eine islamische Gesellschaft, vielleicht sogar der Lackmustest für die Umma, ist sicherlich, wie sie ihre Waisen behandelt.

Rüştü Aslandur

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